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Regatta-Besucher im Sonntagsstaat

Ruderregatten anfangs des 20. Jahrhunderts waren im gleichen Maße sowohl sportliche als auch gesellschaftliche Veranstaltungen, was bedeutet, dass die Rennen nicht unbedingt im Vordergrund standen. Gesehen und gesehen werden war die Devise vieler Zuschauer. Die persönliche Repräsentation war den Zuschauern wichtig. Deshalb erschienen die Männer im „Sonntagsanzug“ mit Schlips und steifem Kragen sowie die Frauen in modischen Sommerkleidern. Die Hüte der Damen und Herren waren besondere Attribute und ergänzten das ohnehin schon farbenfrohe Bild einer jeden Ruderregatta.

Die an den Regatten teilnehmenden Ruderer reisten alle mit der Bahn an. Auch hier war Etikette gefragt. Der dunkelblaue Anzug mit Schiffermütze war die obligatorische Bekleidung an Land.

Schwimmende Militärbadeanstalt musste an Land

Lautsprecheranlagen gab es 1911 noch nicht. Rennergebnisse wurden deshalb vom Zielgericht mit einer „Flüstertüte“ ausgerufen und angeschlagen. In Ermangelung von Lautsprechermusik fand bei jeder Hassia-Regatta ein Platzkonzert statt, zu dem meist das Orchester des letzten Giessener Stadtkirchentürmers Ferdinand Bauer aufspielte.

Die Renndistanz betrug für alle Rennen und Bootsklassen, so auch der Gig-Vierer mit Steuermann, genau 1.900 Meter. Die Kiesbaggerei Conrad Rübsamen verankerte deshalb ihr dampfbetriebenes Baggerschiff oberhalb der Kurve am „Felsen“, dem heutigen Bootshausplatz des WSV Hellas 1920. Es diente dem Starter als Plattform. Drei Startnachen stellte das Hassia-Mitglied Philipp Müller (genannt „Bade-Müller“), der Besitzer der ehemaligen Müller'schen Badeanstalt, zur Verfügung. Das Ziel war in Höhe der GRG-Eiche.

Die am heutigen Grundstück des Marine-Vereins 1892 schwimmende Badeanstalt des in Gießen beheimateten Infanterieregiments 116 wurde für die Dauer der Regatta an Land gezogen. Hierzu war eine Eingabe bei der Garnisonsverwaltung bzw. beim Oberst des Regiments erforderlich.

Als Starter, Schiedsrichter (damals „Bahnrichter“ genannt) und Zielrichter stellten sich erfahrene GRG-Mitglieder zur Verfügung.

Schlachtruf für Hassia-Ruderer

Fester Bestandteil einer Regatta vor dem Ersten Weltkrieg war am Samstagabend ein Herrenkommers mit den Vertretern der auswärtigen Rudervereine im Bootshaus, wovon allerdings die startenden Ruderer ausgeschlossen waren.

Man wollte die Hassia-Ruderer siegen sehen und es galt, die heimischen Mannschaften und Skuller lautstark anzufeuern. Es entstand der Schlachtruf „Hassia“. Kein Wunder, dass der von den zahlreichen Zuschauern im Rhythmus des Rennschlages gerufene Schlachtruf „Hassia“, den man bis weit in die Stadt hinein hören konnte, bei weiten Teilen der sportbegeisterten Giessener Jugend für das weniger vertraute Wort Regatta stand. War Regatta, so sagten viele Buben und Mädchen in Unkenntnis dieses Begriffs: „Auf der Lahn ist Hassia, da gehen wir hin!“